Kerstin Stakemeier
"The gates to the new Parmentier square, built on the site of the former Popincourt
slaughterhouse, will soon be opened to the public. (...) It looks like a bit of nature that
did something wrong and was put in prison."i
Mit der Durchsetzung kapitalistischer Industrialisierung auf Massenbasis veränderte sich in
erster Linie dasjenige, dass in ihr nicht länger einen Platz hatte: die Natur. Sie wurde
Material, Naturressource, Kulturlandschaft, Erholungspark, Projektion des Anderen. Das
betrifft auch den Menschen selbst. Was am ihm Natur wurde wird kolonisiert, wird fremd
und exotisch. Dennis Hollier verfolgt dies im Verhalten der Menschen auf Zolas Parmentier
Square. Auf ihm verbringen die Arbeiter der umliegenden Schlachtereien ihre Mittagspause
und „aus Mangel an Tieren schlagen sie die Zeit tot.“ii Zola sieht die Natur eingekesselt,
doch er erblickt sie im Augenblick ihres Verschwindens, Hollier sieht in derselben Szenerie
bereits die Handlungsmuster sich von ihren Objekten loslösen. Die Natur ist verschwunden
und in Architekturen der Städte und Landschaften übergegangen. Sie bleibt anwesend
aber ist nicht länger greifbar, weder im Objekt noch in den Subjekten. In Stef Heidhues
Arbeiten überkreuzen Natur und Architektur sich andauernd, keine der beiden scheint hier
ursprünglicher, doch zwischen beiden finden sich die Subjekte wieder, umzingelt von
scheinbar zwecklos gewordenen Formen der Moderne.
Und doch ist die Natur ist überall in Heidhues Arbeiten, nie malerisch, nie erhaben, nie
schön, sondern immer bereits fremd, durchsetzt von dem was sie wurde, Beton, Glas und
Metal, Urbanität mit Hinterland. Auch Heidhues nimmt die Natur als Material,
Naturressource, Kulturlandschaft, Erholungspark und als das Andere – doch die Natur auf
die sie zugreift entspricht nicht der Vorstellung einer unberührten, ursprünglichen und
wieder aufgefundenen Einheit, sondern eher der „zweiten Natur der Menschengebilde“iii. In
ihr ist das System dessen, was der Mensch der ersten Natur zufügte so umfassend und
durchdringend geworden, es bestimmt so sehr die Wahrnehmungsmöglichkeiten jeder/s
Einzelnen, dass es begonnen hat selbst als natürlicher Zusammenhang zu erscheinen, als
„zweite Natur“, durch die die erste nicht mehr vorstellbar ist, zum bloßen Fantasma einer
nicht mehr antizipierbaren Vergangenheit verkommt.
Heidhues behandelt zweite Natur als sei sie die erste: sie wird Ausgangspunkt nicht einer
Rekonstruktion ihrer Herkunft, sondern einer Konstruktion ihrer möglichen Verläufe.
Heidhues Materialien sind unorganisch, artifiziell, von den gegossenen Gipsskulturen, deren
funktional wirkende Körper immer ihre Form ins Dysfunktionale entgleiten lassen, bis zu
den Furnierelemente ihrer architektonischen Bauten, die ihren Maßtab verlieren, da nur
noch ihre Blickachsen ihre Körper bestimmen. Natur wird hier zu einer Erinnerung in der
Oberfläche und einer Melancholie des Zusammenhangs, der manchmal, wie in der
Südseeimitation der Landschaftstapete aus der Displaziertheit entspring, in anderen Fällen
daraus, dass Heidhues Zusammenstellung von architektonischen Reststrukturen,
Bodenelementen und Collagen die Frage nach dem Raum zwischen ihnen eröffnet, auf die
die Natur eine nicht nur melancholische, sondern auch beängstigende Antwort bildet. Die
Ausbreitung der Arbeiten über Collagen, Skulpturen und Installationen führt zu
Verkettungen, die auch Heidhues eigener Arbeit den Anschein einer in sich geschlossenen
Natur verleihen – einer Welt nach der Natur. Ihre Konstruktionen nehmen weder eine
utopische noch eine dystopische Haltung an, sie scheinen zu verlaufen.
„In der Kunst ist der Wunsch Neues zu sagen und neue Wege es zu sagen die Quelle
alles Lebens und Interesses (...) Schönheit, wie Ordnung, tucht an vielen Orten der Welt
auf, doch immer nur als ein räumlich und zeitlich begrenzter Kampf gegen die Niagaras
sich ausweitender Entropie.“iv
Wiener beschreibt das Abreissen der Modernität, ihre Auflösung. Kein Ende im Sinne eines
Umschlags, der Neues bringt, an dem eine neue Geschichte ansetzt, sondern den Verlust
eben dieses Neuen, das ‚Auslaufen’ der Geschichte in den 1960ern. Eine melancholische
Vorstellung der Welt, in der die Niagaraströme der wachsenden Entropy keine Katastrophe
auslösen, die ja schon die Moderne selbst im Faschismus realisiert hatte, sondern eine
konstante Dispersion, eine Streuung ehemals geschlossener Zusammenhänge. In diese
scheinbar unabgeschlossene Situation greift Stef Heidhues mit ihren Konstruktionen ein.
Auch sie wirft kein Neues auf, sondern konstruiert aus Versatzstücken der zweiten Natur
der Moderne, indem sie der konstruktivistischen Formensprache, die überall in ihren
Arbeiten die Fläche und Brüche dominiert, den triumphierenden Charakter nimmt. Die
Verschachtelungen der Raumcollagen aus Zeitungsausschnitten, die offenen Enden der
Gipsskulturen, und die ziellose Enge der engen Durchgänge sie Heidhues zusammensetzt
bleiben alle bei klaren Linienführungen, bei konstruierten, nicht kombinierten
Zusammenhängen, doch es wird deutlich, dass aus dieser zweiten Natur keine Utopie
herauszuarbeiten ist.
„Kunst ist eine Station auf dem Weg zur Architektur.“v
In El Lissitzkys „Prounen“ werden axonometrische Darstellungen verwendet um die vierte
Dimension, die Bewegung durch den Raum, als dynamisierenden Faktor in die
Konstruktion der Architektur einzubauen. Bei Heidhues tauchen solche
Konstruktionsprinzipien in den Collagen und Installationen wieder auf, aber sie werden
nicht aus mathematischen Grundformen zusammengesetzt, sondern aus den visuellen
Oberflächen der Gegenwart. Sie bieten keinen Ausweg, sondern Umwege in neue
Perspektiven. Kunst ist hier kein Stadium der Architektur, sondern umgekehrt ist die
Architektur ein Stadium der künstlerischen Produktion. Ständig verunklärt sich das
Verhältnis von Subjekten und Objekten in diesen sich fortsetzenden Räumen, immer
wieder wird unklar was die Bewegungsgesetze dieser entropischen Modernität bestimmt.
Verbreitet sich diese Entropie nicht mehr nur im Verhältnis von Subjekt und Objekt,
sondern im Subjekt selbst, wird es, seine Zurechenbarkeit, seine Determinierbarkeit und
seine Verbindung zur Welt mehrdeutig. In Sigmund Freuds Text „Das Unheimliche“ werden
Momente solcher Verwirrung nachgezeichnet. Es ist kein Verlust der hier dargestellt wird,
sondern die Eröffnung neuer Verknüpfungen von Subjekten und Objekten.
„Heimlich ist ein Wort, das seine Bedeutung nach einer Ambivalenz hin entwickelt, bis es
endlich mit seinem Gegensatz unheimlich zusammenfällt. Unheimlich ist irgendwie eine Art
von heimlich.“vi
Heidhues Objekte und Collagen arbeiten die Heimlichkeit des Materials heraus, das
Unheimliche ihrer gesellschaftlichen Verwendung. Das Entropische, das ihren
Konstruktionen anhaftet, liegt darin, dass das Unheimliche, welches sie den historischen
Formen, Stadtszenerien und Formwelten zusetzt, darin liegt, dass sie keinen Ausgang
vorzeichnen, sondern die Situation anhalten, die sie herstellen. Heidhues Arbeiten setzen
eine in sich geschlossene Welt von offenen Situationen zusammen: Niagaras im Stillstand.