„Das ist kein Spiel. Hier gibt es kein Zwischendurch. Wir haben keine Illusion nötig, um Sie desillusionieren zu können. Wir spielen keine Schicksale. Wir spielen keine Träume. Wir spielen Ihnen keine Handlung vor.“
Das, was 1966 Peter Handke in seinem Bühnenstück „Publikumsbeschimpfungen“ anleitete, trifft genauso für den Ort hinter der Bühne zu: dem Backstage Bereich. Auch hier wird nicht gespielt. Es gibt keine Verfremdung, kein So-Tun-Als-Ob, keine Öffentlichkeit. Im Backstage-Bereich werden die Rollen fallen gelassen, dieser Ort ist ehrlicher, authentischer, vielleicht etwas dreckiger und gleichzeitig exklusiver. Stef Heidhues wählte den Ausstellungstitel Backstage with the Modern Dancers. Auf Heidhues’ Arbeiten bezogen bedeutet ‚Backstage‘ auch, dass nichts vorgetäuscht wird. Ihr minimalistischer Ansatz ermöglicht von vornherein die Verneinung von medialen Täuschungen oder bildweltlichen Versprechungen. Das Stahlrohr ist kein Fabeltier, der Gummi und die Leuchtstoffröhre verkleiden sich nicht.
Schauen wir als erstes auf den Boden. Die Installation Braces wirft die Kabel in Schlaufen und lässt die dicke, schwarze Linie des Rohres an seiner Knickstelle abbrechen, um in neuem Schwung die nächste Kurve zu beleuchten. Was neben dem Material hier konkret da ist, ist eine Linie, die wie in einer Zeichnung verschiedene Stärken, Impulse und Richtungen durchläuft. Gelenkig, leicht. Massiv, starr. Kalt, kantig. Unscharf, strahlend. Schizophren und elegant zugleich. Die Wölbungen und Abbrüche müssen abgegangen werden. Diese Bodenzeichnung ist zugleich ein Verweis auf die nicht anwesenden Tänzer. Markierungen auf ihren Bühnenböden können helfen, Positionen und Choreografien auf den Punkt zu tanzen. Heidhues’ Installation wirkt wie eine Übersetzung solcher Markierungen in ein abstraktes Landschaftsmodell. Sind sie im öffentlichen Aufführungsbereich für das Publikum unsichtbar, wird die Transformation in Stef Heidhues’privatem Backstage-Bereich für den Betrachter erlebbar.
Das, was sich im Unten noch in einem leichten, beweglichen Fluss befindet, verhärtet sich im Oben in seine grafische Endposition. Die Arbeit Awning greift wie Finger oder Krallen über den Betrachter hinweg durch den Raum. Es sind Fragmente eines Daches, eines Baldachins oder einer Markise, die normalerweise angenehmen Schatten spendet. Aber nicht hier. Das Werk schenkt dem Betrachter keine Erleichterung. Awning definiert die Dimension des Raumes, als architektonisches Grundgerüst sowie als organisch langgewachsene Extremitäten, die selbst bei ausgestrecktem Arm unerreichbar bleiben. Spannung entsteht, wird man den evolutionären Reflex doch nicht los, diese Schwinge in der Luft im Auge behalten zu müssen.
An anderer Stelle wird die harte Materialität der Neonröhre von schwarzem Gummi aufgebrochen, der in seiner ausgebreiteten Form auch ein gemaltes Leinwandbild ersetzen könnte. Von Nahem erkennt man Verschleißspuren, eine Oberfläche, die bereits gelebt hat. Angeleuchtet erscheint sie fast gestisch ausgestrichen. Schwarzer Gummi impliziert aber auch Erotik, Fetisch und Kostüme, andererseits erinnert die dunkle Gummi-Matte an Bodybuildingbereiche, Ladeflächen und Sicherheitsböden an Arbeitsplätzen. Durch seine Robustheit kann das Material einiges Einstecken, ohne zurück zu weichen. In Heidhues’ Arbeiten strahlt die Fläche ganz unangestrengt eine dominante (Bühnen-)Präsenz aus. Ihr charismatisches Da-Sein ist auf stille Weise machtvoll. So entsteht eine unerwartete Ruhe in Exit for Renegades, ein merkwürdiger Frieden von klaren Verhältnissen.
Die Ästhetik in Stef Heidhues’ Arbeiten entblößt eine Direktheit der Härte, der Klarheit und der widerstandsfähigen Kunststoffe, die auf der schwarz-weißen Nacktheit ihrer Erscheinungen beruht. Ähnliche ästhetische Dispositive der konkretisierten Reduzierung nutzt auch Dorothea Rockburne in ihrer abstrakten Malerei oder Hubert Kiecol durch die Kompromisslosigkeit des Gerüstes.
„Die Dimension der Möglichkeit ist Teil des Werks“, schrieb Stef Heidhues über die Arbeiten ihres Professors Franz Erhard Walther, bei dem sie von 1999 bis 2005 an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg studierte. Hier ging es auch um die Idee des nicht abgeschlossenen Kunstwerks, um die Leerstellen und um die Brüche, sobald ein Narrativ zu deutlich hervortritt. Wenn die Künstlerin heute den Backstage-Bereich als (imaginären oder sogar realen) Ausgangs- oder Austragungsort von Werken ins Spiel bringt, dann muss auch dieser Ort auf die Dimensionen der Möglichkeiten geprüft werden. Soll das Geschehen auf der Bühne doch eigentlich die Potenz der Ideen multiplizieren, sind sie schlussendlich doch gefangen in ihrem Zweck des Spiels und in ihrem narrativen Wesen. Heidhues schält die Kostüme und die erzählerische Mehrdeutigkeit herunter, was bleibt sind Fragmente, Gerüste, Kontraste und Konstellationen. Die Möglichkeiten hinter der Erzählung liegen genau hier.
Die Make-Up-Farben sind Hauttöne, Rouge-Varianten oder Lippenstift-Sorten, die den Raum akzentuieren. Die Arbeiten NoSign#3 und NoSign#4 lesen sich also von der Haut ab. Das ‚Physical Con‘ des rosigen Teints ergibt sich auf der dunkleren Haut zu ‚Physical Social‘ und ‚Con Tact‘. Das ‚Tance Dis‘ der Lippen ist im Rouge der Wange plötzlich ein „Dis Connected‘ oder ein ‚Dis Tance Zone‘. Doch eine eindeutige Lesart gibt es auch hier nicht. Die Tänzer sind schließlich nicht da, um sie zu fragen. Das macht den Backstage-Bereich aus – die Auflösung der geplanten Narrationen.
Larissa Kikol