Barbara J. Scheuermann

Trespassers Only

Zutritt nur für Unbefugte

Stef Heidhues macht Angebote, und zwar, so erklärt sie im Gespräch mit Hans-Jörg Clement in diesem Band, „in meiner künstlerischen Sprache“, und fügt hinzu: „Insofern sind sie vielleicht auch nicht für jeden lesbar. Das ist für mich vollkommen ok.“

Mit der für sie charakteristischen geradlinigen Ausdrucksweise und anscheinend großer Gelassenheit spricht die Künstlerin hier einen Aspekt an, der nicht nur Künstler, sondern auch und gerade Kunstbetrachter beschäftigt: die mögliche Existenz einer allgemein verständlichen Sprache der Kunst. Mit ihrer schnörkellosen Erwiderung auf die Frage nach dem „Risiko des Didaktischen“ beantwortet Stef Heidhues zugleich die Frage nach dieser universellen Sprache der Kunst, beziehungsweise spricht ihr, zumindest für ihr eigenes Schaffen, die Relevanz ab – um Allgemeinverständlichkeit geht es ihr nicht. Zum einen ist das für die Betrachter ungemein entspannend: Viele von Heidhues‘ Arbeiten mögen nämlich zunächst seltsam erscheinen und vielleicht sogar kryptisch, und da es zumindest für die Künstlerin schon mal „vollkommen ok“ ist, wenn wir ihre unverbindlichen „Angebote“ nicht verstehen, können wir unser eigenes Unverständnis auch gleich viel leichter aushalten. Natürlich ist es damit aber nicht getan, jedenfalls nicht, wenn ein echtes Interesse an der Kunst besteht, die wir vor uns haben. 

Bei der Kunstbetrachtung (und nicht nur da) bildet das erste Nicht-Verstehen ein Hindernis auf dem Weg zur Erkenntnis. Nur allzu leicht wendet man sich ab von Dingen, die sich nicht gleich erschließen wollen. Dass Stef Heidhues nun offensichtlich leichthin akzeptiert, dass ihr Werk für manchen nicht entzifferbar ist, könnte bedeuten, dass sie an jenen, die ihr nicht gleich folgen können, kein weiteres Interesse hat – nur Eingeweihten wäre dann der Zugang zu ihren künstlerischen Überlegungen gewährt. Darauf, dass dies keineswegs der Fall ist, gibt der Ausstellungstitel einen gut lesbaren Hinweis: „Trespassers Only– „Nur für Unbefugte (bzw. Eindringlinge)“ hat die Künstlerin ihre Werkschau genannt und verweist damit deutlich auf die Schwelle zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen, Werk und Betrachter, vielleicht auch zwischen Museum und Umgebung und ganz sicher diejenige zwischen Künstler und Welt. Die Umkehrung des Verbots „Kein Zutritt für Unbefugte“ wird zur Forderung: Nur, wer sich über die Schwelle wagt, ist willkommen. Das heißt, jeder darf hineinkommen, erkennt beim Eintreten seine Position als Eindringling und Grenzüberschreiter an und wird letztlich durch den Übertritt zum Befugten. So ist der Titel als Aufforderung und Einladung zu lesen, so wie die Gelassenheit der Künstlerin angesichts von Verständnisfragen als Vertrauen in die Beziehung zwischen ihrem Werk und dem Betrachter zu verstehen ist.

Die im Ausstellungstitel angelegte Uneindeutigkeit der Position und Funktion von Grenzen aller Art bildet den Mittelpunkt im bisherigen künstlerischen Schaffen von Stef Heidhues. So ist es nicht erstaunlich, dass in ihren Installationen immer wieder Trennendes und Teilendes hervortritt: Zäune, Vorhänge und neuerdings Geländer strukturieren den sie umgebenden Raum und deuten ihn um in ein Hier und Dort, Davor und Dahinter, Innen und Außen. 

Dabei stehen diese raumteilenden Installationen zwar oftmals wie Barrieren im Raum (ev. Verweis auf S....), verfügen aber zugleich über eine ausgeprägte Fragilität – nur ein leichter Stoß mit der Hand könnte den Holz- und Stahlrahmen von ''Late Bloomer'' (Abb. S. ) zum Wanken bringen oder ''Bye Bye You and Me Against the World'' (Abb. S. ) gar zum Umfallen. Letzteres gleicht einem Paravent, erfüllt aber dessen Hauptfunktion – das Fernhalten von Blicken – nicht im mindesten, im Gegenteil: vielmehr scheint durch das Fehlen der abschirmenden Wand das Gestell zur Rahmung dessen zu werden, was sich vom Betrachter aus hinter ihm befindet. Der ‚Paravent’ ist also gleichsam Bilderrahmen des Durchblicks. Der Titel, Bye Bye You and Me Against the World (Auf Wiedersehen Du und ich gegen den Rest der Welt), fügt der minimalistischen Konstruktion eine weitere Bedeutung hinzu, die nahe legt, dass sie ursprünglich durchaus die Funktion einer abschirmenden Wand innehatte, die nun verschwunden ist und die Blicke freigibt, auf was auch immer dahinter verborgen war. Der Titel deutet eine Verbundenheit an, die nun der Vergangenheit angehört. So wird aus zwei mit Scharnieren verbundenen Stahlrahmen das Sinnbild für den Verlust von Geborgenheit. Auf der formalen Ebene ist Bye Bye You and Me Against the World ein prägnantes Beispiel für das, was Stef Heidhues ein „räumliches Bild“ nennt: mit wenigen Eingriffen wird der die Skulptur umgebende Raum Teil des Werkes – er wird zum begehbaren Bild.

Eine Sonderstellung im Gesamtwerk nimmt die Arbeit ''Madonna'' (Abb. S. ) ein. Sie kann schon jetzt, in diesem noch recht frühen Stadium der künstlerischen Karriere von Stef Heidhues, als eins ihrer Hauptwerke bezeichnet werden. Diese Einschätzung wird nicht nur dadurch gestützt, dass sich die Arbeit seit 2011 in der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland befindet, sondern lässt sich auch formal und inhaltlich begründen, auch wenn die kompakte und bildhafte Madonna auf den ersten Blick gar nicht so typisch für ihr Werk zu sein scheint. „Typisch“ allerdings ist das künstlerische Interesse am gefundenen Material als Ausgangspunkt. Die Madonna besteht aus nichts weiter als benutzten Fahrradketten, die über eine Schraube gehängt wurden. Durch den Titel wird die Beiläufigkeit des Arrangements auf denkbar stärkste Art aufgeladen: die alten, verschmutzten Fahrradketten werden zum Haar der Idealfrau schlechthin, der Muttergottes, dem Inbegriff von Tugend und göttlicher Unantastbarkeit. Material und Deutung gehen hier eine Verbindung ein, die nicht nur das Gleichgewicht zwischen Lässigkeit und Erhabenheit hält, sondern auch zwischen Ernst im Sinne von künstlerischer Qualität und feinem Humor. Faszinierenderweise bleibt Madonna in ihrer Präsenz davon unberührt und verteidigt bei aller Ambivalenz ihre ikonische Erhabenheit.

So untypisch Madonna auf den ersten Blick für das Gesamtwerk erscheinen mag, so typisch ist die Ambivalenz, die sie auf formaler wie inhaltlicher Ebene prägt. „Es geht mir darum, das Werk in einem Spannungszustand zu halten. Obwohl es um Uneindeutigkeit geht, die ich erreichen oder bewahren will, muss ich in Bezug auf die Arbeit total klar sein. Uneindeutigkeit ist in diesem Fall das Gegenteil von Beliebigkeit.“ Diese Opposition mag zunächst paradox klingen, ist aber entscheidend: Kaum etwas ist schwerer voneinander zu unterscheiden, allzu leicht lässt sich nämlich Beliebigkeit mit einer vorgeblich beabsichtigten Uneindeutigkeit erklären – dies zu widerlegen ist denkbar schwierig, und umgekehrt liegt es in der Natur der Sache, dass sich Uneindeutigkeit nur schwerlich festlegen lässt; schnell kann da der Verdacht der Wahllosigkeit aufkommen. Heidhues geht das Risiko wissentlich und willentlich ein. Es ist genau diese Grenze oder vielmehr: die Zone, welche die Künstlerin interessiert. Hier muss der „Spannungszustand“ gehalten werden, der sämtliche ihrer Arbeiten auszeichnet. 

Für ''Flag'' (Abb. S. ) verwendet Heidhues noch einmal die Fahrradketten: was bei Madonna nach langem Haar aussieht, erscheint hier plötzlich als der ausgefranste Stoff einer mit einem Fahnenhalter an der Wand befestigten, mächtigen schwarzen Flagge. Bis zum Boden reichen diese ‚Fransen‘ und machen aus der Fahne einen Vorhang – erneut haben wir hier also einen Raumteiler vor uns, eine Barriere, dieses Mal in Form des stark aufgeladenen Symbols der Fahne, das zugleich als Markierung, Machtanspruch und Ansage verwendet werden kann. Sie versperrt den Weg. Die Materialität und die mit ihr verbundene Immobilität erzeugen die starke physische Präsenz der Arbeit. Da sie aus Fahrradketten gemacht ist, kann sie nicht im Wind wehen und auch nicht so ohne weiteres als Machtemblem vorneweg getragen werden. Im Widerspruch dazu aber ist die Fahne ausgefranst, der Beschaffenheit der benutzten Fahrradketten zum Trotz wirkt sie beschädigt, sogar fragil. Dadurch deutet sich zudem an, dass die Fahne bereits im Kampf verwendet wurde. So erscheint sie als Souvenir einer Schlacht, deren zugrundeliegender Konflikt und deren Verlauf unbekannt bleiben. Die vordergründige Eindeutigkeit des universellen Zeichens der Fahne löst sich zugunsten einer komplexen Uneindeutigkeit auf, die welche die Symbolhaftigkeit zugleich erhält und aufbricht – dies ist kein Paradoxon, sondern vielmehr der erreichte „Spannungszustand“.

Nachdem die Künstlerin in den letzten Jahren vor allem mit gefundenen und industriellen Materialien hat, beschäftigt sie sich erst seit wenigen Monaten mit dem Werkstoff Keramik, der sich vor allem mit seiner Modellierbarkeit wesentlich von den früher verwendeten Materialien unterscheidet. Neben den ''Railings'', Stahlgeländern mit Keramikobjekten und Latexband (Abb. S. ) entstanden seither unter anderem die Serie der ''Protectors'' (''Backprotectors'' und ''Protectors'', Abb….) und die Serie der ''Helme''. 

Die ''Protectors'' aus unglasierter Keramik erinnern an Gelenkschoner – Protektoren –, wie sie im Sport und bei Kampfeinsätzen verwendet werden, und ästhetisch an die Ausstattung klassischer Science Fiction-Filme. Mit Halterungen aus Stahl an der Wand oder– scheinbar provisorisch – mit Klettband an im Raum stehenden Pfeilern befestigt, verändert sich allerdings ihre Wirkung: die ovalen Reliefs, die zum Teil Öffnungen haben, bekommen etwas Maskenhaftes. Im nächsten Moment kann der Eindruck von Wappen entstehen. Mehrere übereinander (s. S.....) verwandeln den Pfeiler gar in eine Art Totempfahl. All diesen Lesarten ist gemeinsam, dass sie verknüpft sind mit Aspekten von Schutz und Selbstbehauptung. Schoner, Masken und Wappen bilden jeweils eine Art Schild vor einer Identität, schieben eine Schicht zwischen Körper und Umwelt. Damit sind die Protectors ein weiteres Beispiel dafür, wie es Stef Heidhues gelingt, ausgehend von der Entscheidung für ein bestimmtes Material – in diesem Fall Keramik – und eine bestimmte Form – in diesem Fall die von Protektoren – eine Art Emblem zu schaffen, das zwar einerseits ambivalent erscheint, andererseits in seiner Deutung immer wieder zu denselben Themen zurückführt. Das ist gemeint, wenn die Künstlerin von der erstrebten Uneindeutigkeit im Unterschied zu Beliebigkeit spricht.

Zu den neuesten Arbeiten in unserer Ausstellung und in diesem Buch gehören die ''Helme''. Auch ihre Form und Funktion entstammt dem Bereich von Kampf und, heutzutage, Sport: Helme werden beim Militär, der Polizei, im Motor- und Radsport verwendet oder als Schutz auf dem Bau und im Bergwerk (um nur einige Bereiche zu nennen) und historisch natürlich als Teil von Ritterrüstungen. Präsentiert werden Heidhues’ Helme museal auf Metallsockeln, die von der Künstlerin zu diesem Zweck gefertigt wurden. Außen sind sie unbehandelt, innen dunkel glasiert. Im scharfen Gegensatz zur ursprünglichen Schutzfunktion von Helmen steht das zerbrechliche Material. Sowohl den ‚richtigen’ Helmen als auch den Helmen ist gemein, dass sie von der Form des Kopfes ausgehen. Ansonsten aber sind die Möglichkeiten ihrer Ausformungen wie die ihrer Einsatzbereiche sehr weit gefächert. Beispielhaft sei hier auf Helm # 4 (Abb.) verwiesen, der mit seinen Faltungen und Rillen wie Stoff behandelt ist, sein farbig gefasstes Inneres aber glänzt, wie nur hartes Material es kann. Er ist Helm, Haube und Schleier zugleich, der vordere Teil Mundschutz, Visier und Schal – Assoziationen, die im selben Moment an so weit voneinander entfernte Bereiche wie Motorpiste, die Kultur des Islams, Wüste und Weltall führen. Während beispielsweise bei ''Helm # 1'' (Abb.) der Bezug zur europäischen mittelalterlichen Ritterrüstung und zur Männerwelt offensichtlicher ist, erscheint die abwesende Person, die Helm # ? tragen könnte, nicht nur ohne klare Herkunft, sondern auch ohne bestimmtes Geschlecht, sie ist also viel weniger eindeutig vorstellbar. 

Und dennoch schaut sie uns an.

 

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stef heidhues ©